preloadA close-up image of a woman seated in an aeroplane, her eyes peacefully shut in a serene expression.

Reisen kann außergewöhnliche, neue Erfahrungen mit sich bringen. Doch gerade für Menschen mit Behinderungen oder reisebedingten Ängsten kann es sich erstmal überwältigend anfühlen. Aber wenn du diese anfänglichen Ängste erstmal zulässt und lernst, behutsam mit ihnen umzugehen, können sich dir Wege zu unglaublichen Reisen erschließen.

Aufgrund Retinitis Pigmentosa (RP), einer genetisch bedingten Augenerkrankung, die zuallmählichen Verlust des Sehvermögens und letztendlich zur Erblindung führt, habe ich verstanden, dass es beim Reisen nicht darum geht, diese Ängste zu überwinden, sondern sich ihnen Schritt für Schritt zu stellen und sie anzunehmen. 

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A man wearing casual attire, carrying a backpack and dragging a suitcase, walks along a walkway leading to a railway station.
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© Morten Bonde

Die Angst vor dem Reisen verstehen

Es ist völlig normal, beim Reisen mit einer Sehbehinderung, ein bisschen Angst zu haben.  Reisen bedeutet oft, sich in neuen Umgebungen zurechtzufinden und sich auf visuelle Hinweise verlassen zu müssen, um sich sicher zu fühlen und zu orientieren. Das kann bei eingeschränkter Sehkraft eine Herausforderung sein. 

Ohne die üblichen Bezugspunkte können selbst einfache Aufgaben wie zum Gate laufen oder das Lesen von Schildern recht schwierig sein.

Diese Angst bedeutet nicht, dass es dir an Mut fehlt. Sie zeigt einfach nur, dass du zusätzliche Dinge bei der Planung  bedenken und mehr Vertrauen aufbauen musst, damit du dich auf der Reise sicher fühlen kannst.  Anzuerkennen, dass diese Gefühle berechtigt sind, ist der erste Schritt, um eine Reise mit Zuversicht und Selbstmitgefühl anzutreten.

Dank Achtsamkeit und sorgfältiger Vorbereitung habe ich festgestellt, dass Reisen sowohl zu einem Platz der Erkundung und Selbstfindung, aber auch des Selbstmitgefühls werden kann.

Nachdem ich viele Jahre für die LEGO Group in meiner Rolle als leitender Art Director gereist bin und später als Keynote Speaker auf internationalen Bühnen stand habe ich diesen Leitfaden erstellt. Er bietet behutsame, praktische Schritte zur Bewältigung von Reiseängsten und hilft dir dabei, Erfahrungen zu schaffen, bei denen du sich sicher, unterstützt und offen für Entdeckungen fühlen wirst.

8 Tipps, um deine Reiseangst zu überwinden 

Was diese Tipps gemeinsam haben ist, dass sie dich am ehesten weiter bringen, wenn du im Bezug auf deine Situation offen bleibst.  Es kann schwer sein, Fremden mitzuteilen, dass du besondere Bedürfnisse hast, denn das kann Gefühle der Unzulänglichkeit hervorbringen. Aber der erste Schritt auf jeder Reise ist es, diese Herausforderung zu überwinden. Je offener du mit deinen Bedürfnissen umgehst, desto einfacher wird es für dich damit auch zu reisen. 

A man seated inside an aircraft looks at the scenic sunset through the window.

1. Gründliche Vorbereitung und klare Kommunikation 

Vor jeder Reise kontaktiere ich die Fluggesellschaft, um ihr meine Bedürfnisse mitzuteilen.  Die meisten Fluggesellschaften bieten Unterstützung an, und es ist wichtig, diese im Voraus zu arrangieren. Ich habe festgestellt, dass ich meistens die notwendige Hilfe erhalte, wenn ich meine Bedürfnisse klar kommuniziere – vom Einchecken bis zum Einsteigen.

In den Tagen vor einem Trip visualisiere ich immer, wie ich mir den Reiseverlauf wünsche. Ich stelle mir im Kopf vor, wie ich am Flughafen ankomme, einchecke und durch die Sicherheitskontrolle gehe.

Während ich diese Momente durchspiele, versuche ich, langsam und tief zu atmen, um meinem Körper zu helfen, sich an das Szenario zu gewöhnen. So bin ich besser darauf vorbereitet, Situationen ruhig zu bewältigen, wenn sie dann vor Ort auftreten.

2. Nutzung von Technologie und Apps

Technologie ist eine unverzichtbare für mich, wenn ich reise. Ich lade mir die App der Fluggesellschaft herunter, um Updates für meinen Flug zu bekommen, und verwende zusätzlich meineSmartwatch für einen schnellen Zugriff auf meine Bordkarte. Das macht den Prozess am Flughafen viel reibungsloser. Statt nach meiner ausgedruckten Bordkarte suchen zu müssen, kann ich sie schnell direkt von meiner Uhr scannen.

Meine Uhr verfügt auch über eine Navigationsfunktion, die mir auf dem Weg durch den Flughafen unglaublich hilft. Ich erhalte Wegbeschreibungen direkt auf der Uhr, sodass ich leichter zum Gate oder zur Gepäckausgabe finde, wenn ich alleine reise. So fühle ich mich unabhängiger und bin nicht so sehr auf andere angewiesen, um mich in einer unbekannten Umgebung zurechtzufinden.

Du kannst jede Smartwatch mit GPS verwenden, aber ich persönlich bevorzuge eine Apple Watch, da ich bereits ein iPhone besitze und die beiden Geräte nahtlos zusammenarbeiten. Experimentiere einfach mal und finde ein Gerät, das für dich funktioniert.  Beachte auch, dass diese Tipps von der Schnelligkeit der Internetverbindung und anderen strukturellen Bedingungen am Flughafen abhängen.

Beautiful curly Hispanic female traveler putting her personal belongings into two trays. She is standing beside a Caucasian female security worker. She has light brown hair and she is wearing a white shirt and blue jeans.

3. Mit Achtsamkeit und Geduld durch die Sicherheitskontrolle

Sicherheitskontrollen können für uns alle ein Stressfaktor sein, aber für jemanden, der blind ist, erfordern sie zusätzliche Geduld. Wenn ich an der Kontrollstelle ankomme, teile ich dem Personal mit, dass ich Hilfe benötige, und nehme mir Zeit, um alle Anweisungen zu befolgen. Dank einer positiven und geduldigen Einstellung habe ich gemerkt, dass die meisten Menschen gerne helfen. 

Ich erinnere mich besonders gut an eine Reise nach London. Das Sicherheitspersonal war mit Sehbehinderungen nicht vertraut und hat nicht sofort verstanden, was ich brauchte.  Ich erklärte ruhig meine Situation und nach einem kurzen Gespräch kam ein Vorgesetzter, um mir zu helfen. Diese Erfahrung hat mich daran erinnert, dass es sich immer auszahlt, ruhig zu bleiben und klar zu kommunizieren.

4. An Bord des Flugzeugs

Wenn ich an Bord des Flugzeugs gehe, ist es für mich wichtig, mich am Platz einzurichten. Dabei mache ich mich mit meinem Sitz und der unmittelbaren Umgebung vertraut. Das Bordpersonal ist in der Regel sehr hilfsbereit und erklärt mir, wo sich die Notausgänge, der Sicherheitsgurt und andere Einrichtungen befinden. Dabei frage ich oft, wie ich den Weg zur Toilette oder zu anderen wichtigen Orten finde.

Ich erinnere mich an einen Flug, bei dem sich die Flugbegleitung sich besonders viel Zeit nahm, um mir zu erklären, wie ich mich im Flugzeug zurechtfinden konnte, nachdem sie meinen Stock bemerkt hatte. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, unsere Bedürfnisse zu äußern, Vertrauen zu zeigen, Fragen zu stellen und alle notwendigen Informationen zu sammeln, sodass wir uns während des Fluges unabhängiger fühlen können.

5. Achtsamkeit und Ruhe auf Reisen 5. Achtsamkeit und Ruhe auf Reisen

Als Achtsamkeitstrainer weiß ich, wie wichtig es ist, sich auf den jetzigen Moment zu konzentrieren, insbesondere wenn Dinge stressig werden. Wenn ich spüre, dass mein Herz aufgrund der Anstrengung bei der Sicherheitskontrolle und um mich am Flughafen zurechtzufinden klopft, weise ich dieses Gefühl nicht ab, sondern lasse es zu. Ich erkenne es als Signal dafür, dass mein Kopf sich in einem Konflikt mit dem gegenwärtigen Moment befindet.  Was passiert gerade in mir? Anstatt gegen das anzukämpfen, was gerade ist, öffne ich mich voll und ganz dafür und beobachte die Reaktion meines Körpers ohne zu urteilen.

Mit jedem Atemzug kehre ich zur inneren Stille zurück und verankere mein Bewusstsein in den Empfindungen meines Körpers – dem Gefühl meiner Füße auf dem Boden, meiner Hände, den Geräuschen um mich herum. Indem ich akzeptiere, was ist, öffne ich mich für eine friedliche Erfahrung. Ich schaffe inneren Frieden im äußeren Chaos. Ich lasse den Widerstand los und erlaube meinem Körper und Kopf, sich in einen natürlichen Zustand der Harmonie zu begeben.

Ich habe eine geführte Meditation mit dem Titel „Just being here now“ erstellt. Diese hilft dir dabei, das zu erkunden und zu üben.  Hör dir hier weitere geführte Meditationen an.

A woman closes her eyes as she takes a nap in an airplane seat beside a woman using a smartphone.
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© Morten Bonde
A male passenger in a window seat falling into slumber with headphones over his ears during a flight.

6. Sei offen für Hilfe

Obwohl ich meine Unabhängigkeit schätze, habe ich gelernt, Hilfe anzunehmen, wenn sie angeboten wird. Das Personal von Fluggesellschaften und auf Flughäfen ist in der Regel aufmerksam und hilfsbereit. Und ich habe meistens eine bessere Erfahrung, wenn ich selbst offen und dankbar bin und lächele.

Ich hatte ein eindrückliches Erlebnis, als ich nach einer Landung meine Tasche finden musste und ein Mitreisender spontan seine Hilfe anbot. Seine Freundlichkeit erinnerte mich daran, dass es Menschen um uns herum gibt, die wirklich helfen wollen, und dass es in Ordnung ist, ihre Hilfe anzunehmen.

7. Lerne deine Umgebung kennen

Wenn ich mein Reiseziel erreiche, nehme ich mir erstmal Zeit, mich zu orientieren. Ich bitte das Hotelpersonal um eine FührungDadurch werde ich schnell mit meiner Umgebung vertraut und kann mich sicherer bewegen. Dadurch werde ich schnell mit meiner Umgebung vertraut und kann mich sicherer bewegen.

Früher hatte ich Schwierigkeiten, mich in Hotels und ähnlichen Orten zurechtzufinden. Aber inzwischen nutze ich mein GPS und spreche mit dem Personal, um die nötige Orientierung zu bekommen.  Diese Vorbereitung gibt mir die Freiheit, mich nach meinen eigenen Vorstellungen zu bewegen und einen Ort zu erkunden.

8. Pass auf deine Siebensachen auf

Es ist immer wichtig zu wissen, wo deine Siebensachen sind, aber für mich als blinde Person ist das noch wichtiger. Deswegen habe ich immer eine kleine Tasche für meine Taschenlampe, meinen Stock und meine Sonnenbrille dabei, damit ich sie jederzeit griffbereit habe.

Zusätzlich habe ich eine feste Routine und packe meine Sachen immer an die gleichen Stellen in meinem Rucksack. So muss ich nicht jedes Mal danach suchen, wenn ich etwas brauche. Das hilft mir, Energie zu sparen. 

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich mal mein Handy in meinem Hotelzimmer nicht finden konnte. Die Möbel waren dunkel und die Beleuchtung sehr schwach, sodass ich eine Weile brauchte, um es zu finden. Es war ein stressiger Moment, den ich hätte vermeiden können, wenn ich einen bestimmten Platz für mein Handy gewählt hätte, anstatt es irgendwo wahllos abzulegen, wo ich es dann nicht sofort wiederfinden konnte. Aber so lernen wir aus unseren kleinen Fehlern undFehler können über länger zu Weisheit werden.

Vom Weg der Hoffnungslosigkeit zum Weg der Möglichkeiten

Als blinde Person zu reisen kann eine besondere Herausforderung darstellen. Mit Vorbereitung, Technologie, einer positiven Einstellung und Achtsamkeit ist es jedoch möglich, solche Erfahrungen selbstbewusst zu meistern.

Durch klare Kommunikation, den Einsatz der richtigen Hilfsmittel und die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, kann man selbstbewusst und unabhängig reisen. Es geht nicht unbedingt darum, die Angst und das Unbehagen beim Reisen zu überwinden, sondern vielmehr darum, sich der Angst zu stellen, sie zuzulassen und sie in Weisheit umzuwandeln.

Unsere Widrigkeiten können uns etwas über uns selbst lehren. Meine Herausforderungen zeigen mir immer wieder neue Wege, sie zu überkommen. Sie erinnern mich daran, dass Widrigkeiten eine Gelegenheit sind, zu wachsen und die Welt zu erkunden, egal welche Hindernisse vor uns liegen.

Das habe ich gelernt

Mein Sehverlust und mein Leben in achtsamer Präsenz haben mich gelehrt, angesichts des Unerwarteten ruhig zu bleiben. Ich teile die Fähigkeit, inneren Frieden im äußeren Chaos zu finden jetzt mit meinen Klienten sowie in meinen Vorträgen und Workshops. Außerdem ist es das Thema meines Buches Sentenced To Blindness – Now what?

Für mich geht es beim Reisen nicht nur darum, das Ziel zu erreichen. Es geht vielmehr darum, auf dem Weg dorthin gegenwärtig zu sein und Herausforderungen mit einer offenen und ruhigen Einstellung zu begegnen. Ich nenne es den Übergang von dem Weg der Hoffnungslosigkeit zum Weg der Möglichkeiten

Wer ist Morten Bonde?

Morten Bonde ist Achtsamkeitstrainer, Coach, TEDx-Sprecher und ehemaliger leitender Art Director der LEGO Group. Das Leben mit Retinitis Pigmentosa (RP), eine genetisch bedingte Augenerkrankung, die zu einem allmählichen Verlust des Sehvermögens bis hin zur Erblindung führt, hat seine Lebenseinstellung grundlegend verändert.

Er hat gelernt, Ängste zuzulassen und zu akzeptieren, und sieht sie nicht als Hindernisse, die es zu „überwinden“ gilt, sondern als Teil einer größeren, reicheren Erfahrung. Durch Achtsamkeit und persönliche Erkenntnisse hofft er, andere dazu zu ermutigen, offen, bewusst und selbstbewusst durchs Leben zu gehen.

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© Morten Bonde

Über die*den Autor*in

Morten BondeMorten Bonde ist ein blinder Lehrer für Achtsamkeit, Coach und internationaler Keynote-Speaker. Er hilft Menschen, ihr inneres Gleichgewicht zu finden, einschränkende Gedanken zu überwinden und ihre Sichtweise auf Herausforderungen, die das Leben stellt, zu ändern. Als ehemaliger Senior Art Director bei der LEGO Group hat er die Welt bereist. Dabei sammelte er aus erster Hand Erfahrungen, wie man mit einer Behinderung reist.

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