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Colorado-Urlaub mit 400 PS unterm Hintern: Durch die gewaltigen Rocky Mountains in einem irgendwie noch gewaltigeren 12-Meter-Mega-Wohnmobil. Wir konnten nicht einfach widerstehen. Der Tag, an dem wir uns einen XXL-Camper ausliehen

Amerika, das Land nicht nur der irrwitzigsten Wahlkämpfe, sondern tatsächlich auch noch der unbegrenzten Möglichkeiten? Auf dem Interstate stimmt das noch. Ich sitze in einem Wohnmobil, einem sehr großen Wohnmobil. Es ist elf Meter lang, mit den Fahrrädern hinten dran sind es zwölf. Das Ding wiegt sechs Tonnen, und ich darf es erstaunlicherweise mit dem EU-Führerschein fahren, der ein Gesamtgewicht bis zu maximal 3,5 Tonnen erlaubt.

Trotzdem wird sich zeigen: Das mit den Möglichkeiten ist so eine Sache.

Das rollende Zuhause: Mit den Fahrrädern am Heck misst dieser Camper schlappe 12 Meter Länge ©Stefan Weißenborn

Es fängt damit an, dass man nach der interkontinentalen Flugreise von Deutschland nach Amerika erst einmal ausnüchtern muss. Egal, ob man den Offerten des Bordpersonals, sich nicht vielleicht doch noch ein Gläschen zu gönnen, erlegen war oder nicht: Nach Ankunft im US-Bundesstaat Colorado muss eine Nacht verbringen, wer ein „Recreational Vehicle“ (RV), also einen Camper oder ein Motorhome, durch die Gegend pilotieren möchte. Einmal richtig ausschlafen, um für die Rekreation fit zu sein, sozusagen.

Mein Reisekumpel Ralf und ich checken also in einem Best Western in Boulder ein, einem hübschen Studentenstädtchen nordwestlich von Denver mit einer ausgeprägten Craft-Beer-Szene. Wir entdecken eine Kneipe, in der Kölsch (geschrieben mit „o“ statt „ö“) UND Altbier einvernehmlich unter einem Dach gezapft werden. Das nur am Rande – und wegen der Möglichkeiten.

Eine Camper-Einweisung ist Pflicht

Am nächsten Morgen sitzen wir im Taxi Richtung RV-Verleiher, den wir nach einer Stunde Fahrt am Rande der Metropole Denver in einem Industriegebiet erreichen. Auf dem Parkplatz stehen wie überdimensionierte Lego-Quader vier, fünf der rollenden Wohnungen. Ein ausgewanderter Schweizer, der für den Anbieter arbeitet, weist uns doch glatt das größte Vehikel zu. YES!

Denver, die „Mile High City“, Hauptstadt von Colorado – die Rocky Mountaisn stets im Blick ©EdgeOfReason/Shutterstock

Doch dann empfiehlt uns Martin (der Schweizer) eindringlich, vor der Abfahrt besser noch ein Einweisungsvideo zu schauen. Er führt uns in einen fensterlosen Raum des Verwaltungskomplexes mit zwei Stuhlreihen und einem Flatscreen an der Wand. Eine halbe Stunde lassen wir ein semi-professionell produziertes Filmchen über uns ergehen. In redundanter Rhetorik bringt es uns die Raffinessen und Eigenheiten des bewohnbaren Ford-Trucks näher.

So kommst du hin: Von Frankfurt nach Denver fliegst du beispielsweise mit Icelandair über Reykjavik (ein paar Tage Island als interessanter Zwischenstopp!) oder British Airways via London. Nonstopflüge hingegen bieten etwa Lufthansa oder United Airlines. Flugpreise ab 478 Euro (ab/bis Frankfurt, Buchungsbeispiel 13.-23. April)

So viel kostet die Wohnmobil-Miete: Ein großes „Slide-out Motorhome“ jenseits der 10-Meter-Marke kostet im Juni 2017 ab/bis Denver ab etwa 900 Euro pro Woche. Camper, Wohnmobile, Truck Camper oder Camper Vans kannst du u. a. über CRD oder Dertour buchen. Einen Preisvergleich bietet dir CamperDays.

Hier erfährst du alles über Colorado: Colorado Tourism Office in Köln.

Wieder am Sonnenlicht auf dem Parkplatz gibt es eine inhaltsgleiche Einweisung noch einmal live mit einem V10-Motor üppig motorisierten Objekt. V10! 6,8 Liter Hubraum! Martin erläutert, wie die Wasserversorgung und Entsorgung abläuft und dass Heizung, Herd und Kühlschrank zur Entlastung des Bordnetzes mit Gas betrieben werden. Für die autarke Stromerzeugung in der Wildnis – wichtig für die beiden Fernseher an Bord – gibt es einen Generator. „Und ganz wichtig“, sagt Martin, „vergesst nicht, beim Tanken die Gasflamme abzudrehen.“

Im Camper können 8 Leute schlafen!

Nach drei Stunden Warming-up werfe ich endlich den Motor an. Wir rollen vom Hof. Ein flaues Gefühl der Unsicherheit wie in der ersten Fahrstunde erfasst mich. Komme ich aus der Ausfahrt, ohne den Pfosten da mit zu nehmen? Ich trete aufs Bremspedal, aber das Vehikel mit Mikrowelle, Sofa-Landschaft, Küchenzeile, Essecke, Badezimmer, separater Toilette und Schlafplätzen für acht Leute rollt einfach weiter. Erst bei deutlich höherem Druck gehorcht das vollgestopfte, übergewichtige Viech widerwillig.

Einmal auf der Schnellstraße gen Westen mit Zwischenziel Grand Junction eingefädelt, arrangieren wir uns, das Viech und ich. Wir schieben so dahin, beim Lenken spüre ich allenthalben die Masse, die wir bewegen. So muss sich ein Trucker auf einem 18-Wheeler fühlen. Spurwechsel mit frühem Setzen des Blinkers möglichst weit im voraus einleiten, dann raumgreifende Bewegungen am großen Steuerrad einplanen und später vage erahnen, wann man wieder einschwenken kann. Denn das Ende des Wohnmobil-Monsters ist im großen, aber verkleinernden Seitenspiegel bestenfalls nur zu erahnen.

Wenn er erst mal rollt, dann rollt er, der Monster-Truck. Doch enge Kurven sind nicht sein Ding ©Stefan Weißenborn

Wir fahren in die Rockys. Rechts und links säumen graue Felsflanken den Interstate, wie angeklebt wirken die strammen Douglastannen. Irgendwann wird die Piste weniger kurvig, die Straße windet sich in großzügig geworfenen Bögen durch die Hochgebirgslandschaft, und ich kann Gas geben. Die Tachonadel zittert sich auf 60 Meilen hoch, das sind knapp 100 km/h, aber sie fühlen sich an wie Tempo 200 in einem betagten Golf.

Mit dem Wohnmobil 400 Meter über der Zugspitze

Zu jeder langen Autofahrt gehört eine Pause, auch Ralf und ich verlangt es nach ein paar Stunden nach Frischluft und Beinevertreten. Ralf hält mir sein Handy entgegen, auf dem eine Höhenmesser-App läuft: Wir passieren gerade die Passhöhe von 3393 Metern. Und vor uns tut sich eine Ausfahrt auf, die uns selbst in dieser Höhe – wir sind 400 Meter über Zugspitze-Niveau – zu einer Ansammlung von Mega-Supermärkten, Fast-Food-Filialen und der Niederlassung einer Café-Kette führt.

Pause muss sein. Oder auch mal eine kleine Raddtour ©Stefan Weißenborn

Und dann das. Es musste ja so kommen: Beim Einparken verschätze ich mich. Der Wendekreis muss bei 20 Metern oder noch mehr liegen, auf jeden Fall stehe ich jetzt mit der Motorhaube vor einem hohen Bordstein, die Einfahrt links neben mir. Knapp daneben ist auch vorbei, und Zurückzusetzen traue ich mich nicht. Ich sehe noch nicht einmal, ob ein Auto hinter mir ist. Und die popelige, nachträglich angeschraubte Rückfahrkamera senkt nur den Blick nach unten, direkt auf den Boden hinter dem Fahrradträger – für die Millimeterarbeit, wenn man schon fast alles geschafft hat. Ralf springt raus, taucht als Zwerg im Rückspiegel wieder auf und hilft aus.

Halten wir fest: Mobil zu sein in einem Wohnmobil US-amerikanischer Ausprägung ist gewöhnungsbedürftig, macht nach einer gewissen Eingewöhnung aber auch Spaß. Und was ist mit dem Wohnen? Als es schon dunkel ist, sitzt Ralf am Steuer. Auch er hat es nicht einfach, denn nun geht es Serpentinen hoch, die offenlegen, dass auch ein V10 mit 400 PS untermotorisiert sein kann. Dann kommen wir an.

Auf Knopfdruck wird der Camper 4 Meter breit

Es ist stockfinster. Macht aber nichts, denn nun kommt der Moment, dem ich insgeheim schon die ganze Fahrt über entgegenfiebere. Ich springe auf, schiebe mich zwischen den Vordersitzen durch in die – noch – schlauchförmige Wohneinheit. Dann drücke ich einen Knopf oberhalb des Lichtschalters neben der seitlichen Einstiegstür, den uns Martin nicht ohne Stolz gezeigt hatte. Ein Klicken, ein Surren, und unser Klotz auf Achsen geht aus dem Leim: Die “Side-Extension” fährt aus. Eigentlich ist unser Motorhome so um die 2,5 Meter breit. Doch nachdem die linke Flanke ausgefahren ist, stehen wir in einem fast vier Meter breiten Wohnzimmer! Wir werfen die Standheizung an und machen es uns gemütlich.

Als ich mich nach dem Essen in mein Separée mit King-Size-Bett am hinteren Ende in knapp zehn Metern Entfernung von Ralfs Alkoven-Verschlag über dem Führerhäuschen verzogen habe, entdecke ich einen weiteren Knopf, der surrend eine Wand verschieben lässt. Jetzt habe ich zwei Seitenfenster hinzugewonnen und damit fast ein regelrechtes Schlafgemach.

Reisetipp: Wenn es für die Rundtour kein Camper, sondern vielleicht „nur“ ein Van oder ein großer Mietwagen sein soll – die Hotelauswahl für Colorado ist groß.

Am Morgen sehen wir erst, wo wir überhaupt gelandet sind. Ein paar Meter vor unserem Stellplatz entfernt ist eine Abbruchkante. Der Canyon unterhalb ist hübsch anzusehen. Allenthalben erheben sich riesige Monolithen aus Sandstein.Hier kann man Klettern, Wandern, Rad fahren oder sich auch einfach nur auf einem Felsen sitzend an der „Red Rock“-Natur berauschen: „Heart of the World“ wird diese Schluchtenlandschaft namens Colorado National Monument, einem Naturschutzgebiet bei Fruita, auch genannt.

Überhaupt ist das ein Vorzug des Reisens im Recreational Vehicle: Man kann seine Wohnung, seine Heizung, sein Essen mitnehmen bis ins Herz der Dinge, zumindest landschaftlich gesehen. Das ist praktisch, denn in vielen Nationalparks gibt es keine Unterkünfte.

Von den Bergen in die Dünen

Zum Beispiel im “Great Sand Dunes National Park” in der Nähe von Alamosa, im Süden Colorados. Wer nicht auf dem Piñon Flats Campground nächtigt, wie wir zum Ende unseres Trips, kann nach dem Aufwachen nicht sofort mit Blick auf die majestätische Dünenlandschaft umrahmt von 4000ern loswandern. Im Morgengrauen stoße ich die Seitentür unseres RVs auf und atme Dampfwölkchen aus. Es geht über die gefrorenen Rinnsale des im Sand mäandernden Medano Creek. Und dann die Dünen hoch.

Naturwunder: Die Great Sand Dunes im Süden von Colorado ©Stefan Weißenborn

Ich drehe mich um und sehe unser Viech. Vor der Bergkulisse wirkt es plötzlich gar nicht mehr so groß. Doch das ist nur die Perspektive, denn auf dem Rückweg nach Denver tanken wir noch mal. Ich hatte noch gar nicht erwähnt, was das für eine Prozedur ist.

Weil der Tank so groß ist, und die meisten Self-Service-Tankstellen ein 100-Dollar-Limit pro Zapfvorgang haben, muss ich meine Kreditkarte zwei Mal in den Schlitz schieben. Beide Quittungen belaufen sich auf 180 Bucks. Der Verbrauch des Campers? 35 Liter auf 100 Kilometer benötigt er locker.

Unser Mega-Gerät von RV, das wir schließlich wieder beim Vermieter abgeben müssen, parken wir für unsere letzte Nacht in Colorado auf einem öffentlichen Parkplatz in Downtown Denver, einen guten Koffer-schlepp-Kilometer vom Hotel entfernt. In der irrigen Annahme, das man so einen 11-Meter-Truck eh nicht auf dem Hotelparkplatz abstellen kann.

Doch, da haben wir die Rechnung ohne die freundlichen Jungs vom Valet-Parking des Grand Hyatt gemacht: „Oversize $39“, verheißt die Preistafel. Amerika überrascht doch immer wieder mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten.

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Headerbild: ©Stefan Weißenborn

Über die*den Autor*in

Stefan WeißenbornReise-Journalist in Berlin

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